Die Sprachen unserer Nachbarn: Türkisch

von Anke Wilde

Im dritten Teil unserer Serie Die Sprachen unserer Nachbarn, stellen wir heute die Sprache der mit Abstand größten Migrationsgruppe Deutschlands vor: Türkisch.

Döner, Börek, Baklava – das sind längst auch hier zu Lande wohlbekannte Bezeichnungen für wohlschmeckende türkische Speisen. Bei vielen Menschen hat es eine Speise sprachlich vom Bosporus sogar bis auf den Frühstückstisch geschafft: der Joghurt (türkisch: yoğurt). Und das Wort „Kaffee“ hat, nachdem es aus dem Arabischen gekommen ist, zunächst im türkischen Sprachraum Halt gemacht, um dann über das Italienische und Französische ins Deutsche zu gelangen.

Turzismen, also türkische Wörter, die als Lehnwörter übernommen wurden, sind jedoch außerhalb von Speisen und Getränken im Deutschen sehr selten. Das mag daran liegen, dass es lange Zeit wenig Berührungspunkte zwischen der deutschen und der türkischen Sprache gab. Ausgerechnet aber die „Horde“ stammt aus dem Türkischen (von „ordu“, ‘Heerlager, Heer, Tross’) und gemahnt, wenn auch nicht sprachgeschichtlich korrekt, an die beiden Belagerungen Wiens durch osmanische Truppen 1529 und 1693. In den südslawischen Sprachen hingegen liegt der Fall anders – dort hat das Türkische durch den Jahrhunderte währenden Kontakt dieser Sprachen deutliche Spuren hinterlassen, und viele Alltagsbegriffe sind türkischen Ursprungs.

Ein anderer Sprachbau

Von seinem Aufbau her ist das Türkische eine agglutinierende Sprache. Zu diesem Typus gehören auch das Finnische und das Ungarische. „Agglutinieren“ heißt soviel wie „kleben“. Also: Um im Türkischen die Wörter innerhalb des Satzes in Beziehung zu setzen oder ihnen eine weitere Bedeutung zu verpassen, wird ihnen am Ende noch eine Silbe angeklebt. Ein Beispiel: Der „Wagen“ oder das „Auto“ heißt im Türkischen „araba“. Um den Plural zu bilden, wird ein „-lar“ angeklebt, „arabalar“. Fährt man „in den Autos“ irgendwohin, dann kommt ein „-da“ hinzu und es heißt „arabalarda“, bei „in einem Auto“ hingegen verschwindet die Pluralsilbe „-lar“ wieder und es heißt „arabada“. Ist es „mein Auto“, dann sagt man „arabam“, und sind wir „in meinem Auto“ unterwegs, dann heißt es „arabamda“, außer ich verfüge über eine ganze Flotte von Autos, dann heißt es „arabalarımda“. Jede Silbe, die hinten angehängt wird, steht also für genau ein grammatisches Merkmal. Das unterscheidet eine agglutinierende Sprachen wie das Türkische von flektierenden Sprachen, zu denen das Deutsche gehört. Hier wird kräftig gebeugt, und in einer Endung sind meist mehrere grammatische Kategorien vereint (zum Beispiel der Fall und die Zahl). Oder die Bedeutungslast wird auf mehrere Wörter verteilt, beispielsweise Präpositionen wie „im“ und „mit“ oder Possessivpronomen wie „mein“ und „dein“.

Falls Ihnen jetzt der Kopf schwirrt vom vielen A-Sagen und -Lesen – das Beispiel „araba“ / „Auto“ zeigt eindrücklich das Prinzip der Vokalharmonie, das im Türkischen gilt. Dieses Prinzip besagt, dass bei den angesetzten Silben die Vokale verwendet werden, die den eigentlichen Wortstamm prägen. Zum Beispiel heißt „Stadt“ im Türkischen „şehir“, der landwirtschaftliche „Betrieb“ wiederum „çiftlik“. Ihre Mehrzahl lautet „şehirler“ bzw. „çiftlikler“. Der Vokal „e“ setzt sich auch bei den weiteren angesetzten Silben fort: „in den Städten“ heißt „şehirlerde“, „in den Betrieben“ „çiftliklerde“.

Reiche Literaturgeschichte bereichert auch die Sprache

Nicht erst seit Orhan Pamuk kann die Türkei literarische Meisterwerke vorweisen, durch die sich die türkische Sprache nicht zuletzt weiterentwickelt hat. Im Westen weitestgehend unbekannt ist die literarische Tradition im einstigen Osmanischen Reich des 15. und 16. Jahrhunderts, die so genannte Divan-Literatur. Damals gehörte bei den Gelehrten das Dichten von Versen zum guten Ton, und Sultane wie Mehmed II. betätigten sich selbst als Dichter und förderten in hohem Maße die Literatur bei Hofe. Die Texte wurden in persischer und türkischer Sprache verfasst. In dieser Epoche wurde das Volksepos vom weisen Dede Korkut aufgeschrieben, es entstanden Prosaerzählungen, zahlreiche Versromanzen, so genannte Masnawi, zudem wurden Werke aus dem Arabischen und dem Persischen übersetzt.

Einer der wichtigsten Schriftsteller des 17. Jahrhunderts wiederum war Evliya Çelebi. In der türkischen Volkssprache verfasste er Berichte über Reisen durch das Osmanische Reich und dessen Nachbarländer, die „Seyahatnâme“. Das zehnbändige Werk gehört heute zum Weltdokumentenerbe der Unesco. Im 19. Jahrhundert kamen verstärkt westliche Einflüsse in die türkische Literatur, und es entstanden die ersten Romane. Vor allem aus dieser Zeit sind zahlreiche französische Lehnwörter in der türkischen Sprache zu erklären, während zuvor insbesondere arabische und persische Einflüsse das Türkische erweiterten.

Schriftreform als Emanzipation vom Persischen und Arabischen

Anfangs war die türkische Sprache auch in arabischen Lettern verfasst. Allerdings sind im Türkischen die Vokale von herausragender Bedeutung – anders als im Arabischen selbst. Das nicht so perfekt geeignete Alphabet, aber auch die Bestrebungen sich nach Europa hin zu öffnen, führten unter Staatspräsident Mustafa Kemal Atatürk im Jahr 1928 zu einer Schriftreform. Dabei wurden die Buchstaben q, w, x verworfen, aus dem Deutschen holte man sich das ö und das ü und aus dem Französischen das ç. Hinzu kamen Buchstaben wie ı, ğ und ş, um die Besonderheiten der türkischen Lautsprache abzudecken. Atatürk selbst, so heißt es, reiste durchs Land und unterrichtete sein Volk in dem neuen Alphabet. Mit größeren Komplikationen, es in der Bevölkerung durchzusetzen, musste er nicht rechnen: Die meisten Türken waren zu diesem Zeitpunkt noch Analphabeten.

An die Schriftreform schloss sich in den 1930ern eine Sprachreform. Wörter mit persischem oder arabischem Ursprung sollten aus dem Gebrauch verbannt und durch neue, als ursprünglich türkisch angesehene Wörter ersetzt werden. Inzwischen aber gehen die Literaten mit der sprachlichen Vergangenheit der Türkei deutlich entspannter um: Man entdeckt inzwischen den alten Wortschatz wieder, und seine Verwendung gilt längst nicht mehr als rückschrittlich.

 

Weiterführende Links:

Eine kleine Einführung in die türkische Sprache – https://de.babbel.com/de/magazine/eine-kleine-einfuehrung-in-die-tuerkische-sprache

Einige Probleme im Zweitspracherwerb Deutsch bei türkischer Erstsprache – http://www.germanistik.tu-dortmund.de/~hoffmann/ABC/Tuerkisch.html

Die moderne türkische Literatur – http://www.bpb.de/internationales/europa/tuerkei/188246/literatur