Vom Aussterben bedroht: Minderheitensprachen

von Anke Wilde

Weltweit werden schätzungsweise 6.000 Sprachen gesprochen. Doch viele davon sind in Gefahr. Bei fast 2.500 Sprachen steht zu befürchten, dass sie allmählich aussterben, lautet die Einschätzung der Organisation der Vereinten Nationen für Bildung, Wissenschaft und Kultur, der UNESCO. Betroffen sind vor allem die Sprachen von Minderheiten, die durch die Übermacht der Mehrheitssprache in Medien und den öffentlichen Institutionen an Bedeutung verlieren, und die allzu oft auch durch politische Unterdrückung und eine restriktive Sprachpolitik aus dem alltäglichen Gebrauch verdrängt werden.

Der UNESCO-Weltatlas der bedrohten Sprachen listet sie alle auf. Allein in Deutschland gelten 13 Sprachen als gefährdet, weil die Anzahl derer, die sie regelmäßig sprechen, allmählich zurückgeht. Als verletzbar gilt etwa das Limburgisch-Ripoarische, das seine Verbreitung im Rheinländischen Raum findet und dort oft einfach “Platt” genannt wird. Zu dieser Sprachgruppe zählt beispielsweise das Kölsche, die Mundart also, die in Köln gesprochen wird und nicht zuletzt durch das Liedgut zum Karneval auch über die Stadtgrenzen hinaus bekannt ist. Auch Mundarten wie das Bairische und das Alemannische gelten als verletzbar, weil ihr alltäglicher Gebrauch abnimmt.

Zu den ernsthaft gefährdeten Sprachen in Deutschland wie auch in Europa zählt das Romani, die Sprache der Sinti und Roma. Sie ist mit den in Indien und Pakistan gesprochenen Sprachen Hindi und Urdu verwandt. Europaweit sprechen laut Unesco zwar 3,5 Millionen Menschen einen Romani-Dialekt. Diese Dialekte sind im Laufe ihrer Entstehung jeweils stark von den Sprachen der Mehrheitsbevölkerung beeinflusst worden, so dass in Rumänien gesprochenes Romani ganz anders klingt als das, welches die Sinti und Roma in Belgien sprechen. Als Schriftsprache wiederum ist Romani kaum etabliert – erst seit den 1980er Jahren gibt es Versuche, die Sprache zu standardisieren. Angesichts der vielfältigen Diskriminierungen und Benachteiligungen, denen die Sinti und Roma auch heute noch ausgesetzt sind, ist dies jedoch ein schwieriges Unterfangen. Zudem lernen viele Angehörige dieser Volksgruppe das Romani, wenn überhaupt, nur als Zweit- oder Drittsprache, weil sie sonst noch größeren Benachteiligungen ausgesetzt wären.

Unter einem noch viel größeren Druck stehen etliche indigene Sprachen in Nord-, Mittel- und Südamerika. Die Verheerungen der Kolonialzeit, aber auch der Assimilierungszwang, dem die indigene Bevölkerung auch heute noch vielerorts ausgesetzt ist, bedroht nicht nur ihr kulturelles Erbe. Viele dieser Sprachen haben kaum mehr eine Überlebenschance, verfügen sie doch nur noch über eine Handvoll Sprecher, beispielsweise das Kalispel, die Sprache eines Indianerstammes im Nordwesten der Vereinigten Staaten, das Arikapu in Brasilien und das Kiliwa in Mexiko.

Ob eine Sprache gefährdet ist oder nicht, wird bei der Unesco nach mehreren Kriterien beurteilt. Die Zahl der Sprecher ist dabei ebenso relevant wie ihre persönliche Beziehung zu ihrer Sprache. Das lässt sich daran erkennen, ob sie ihre Sprache in verschiedenen Lebensbereichen wie Familie, Freizeit, in den Medien, in Schule und Arbeit verwenden, oder auch in Liedern, Gedichten und Sprichwörtern. Ebenso spielt eine Rolle, welche Zeugnisse es von einer Sprache gibt. Denn während manche Sprachen als Amtssprachen beispielsweise auch in Gesetzestexten Anwendung finden, werden andere Sprachen rein mündlich weitergegeben.

Längst warnt nicht nur die UNESCO vor dem Aussterben von Sprachen. Auch Linguisten und Kulturwissenschaftler sehen die kulturelle Vielfalt und einen großen Schatz an Wissen in Gefahr. Wissenschaftliche Initiativen wie das Netzwerk Dobes (Documentation of Endangered Languages, deutsch: Dokumentation von gefährdeten Sprachen) zeichnen die verschwindenden Sprachen auf und wollen sie auf diese Weise für die Nachwelt konservieren. Immerhin zu 68 gefährdeten Sprachen stehen bei Dobes etliche Audio- und Videodokumente samt Übersetzungen zur Verfügung.