Fremdsprachen – Je früher, desto besser?
von Annette Leyssner
International ist schick. Immer früher sollen Kinder Sprachen lernen, am besten schon im Kindergarten. Passt so viel Sprachwissen in so kleine Köpfe?
Viele Eltern spekulieren auf eine rosige Zukunft, wenn ihre Kinder polyglott werden. Schulen mit mehrsprachigem Unterricht sind gefragt, genauso wie internationale Kindergärten. Hörspielkassetten wie „Englisch lernen mit Benjamin Blümchen“ für Kinder ab drei Jahren unterstreichen den Trend.
Doch bei allem Ehrgeiz befürchten einige Eltern babylonische Sprachverwirrung: Wird mein Kind überfordert? Gibt es Sprach-Mischmasch? Der Mensch sei ein einsprachiges Wesen – das war noch vor 50 Jahren der Tenor unter vielen Sprach- und Bildungsforschern. Ihre Warnung: Nicht nur die Muttersprache würde leiden, wenn ein Kind zu früh eine weitere Sprache lernt. Vom Risiko für Neurosen oder sogar Intelligenzdefiziten war die Rede. „Die Sorgen sind unbegründet“, sagt der Linguist Georges Lüdi von der Universität Basel. „Im Gegenteil. Wenn man früh eine andere Sprache lernt, profitiert auch die Muttersprache davon.“ Frank Königs, Leiter des Informationszentrums für Fremdsprachenforschung an der Universität Marburg, bestätigt das. Kinder könnten problemlos mit mehr als einer Sprache aufwachsen. Studien weisen sogar darauf hin, dass der frühe Kontakt mit zwei Sprachen die allgemeine Gedächtnisleistung positiv beeinflusst, ist die Schlussfolgerung eines Artikels in der Wissenschaftszeitschrift Spektrum.
Die Kinder könnten Informationen schneller verarbeiten und ihre Aufmerksamkeit gezielter lenken. Ihre exekutive Kontrolle, also die Fähigkeit, sich auf bestimmte Aspekte zu konzentrieren und andere auszublenden, scheint besonders ausgeprägt. Anders gesagt: Zweisprachige Kinder können besser zwischen zwei Aufgaben umdenken. „Wer mit mehreren Sprachen aufwächst, lernt ja, zwischen unterschiedlichen Sprachsystemen hin- und herzuschalten“, erklärt die Psychologin und Sprachwissenschaftlerin Pauline Schröter vom Max-Planck-Institut für Bildungsforschung in Berlin. Ein Beispiel: Wenn ein Junge deutsch und dänisch gelernt hat und nun Besuch von seiner dänischen Tante hat, dann spricht er mit ihr dänisch. Währenddessen unterdrückt er das deutsche Vokabular und die Grammatik, also die unwichtigen Informationen in seinem Kopf.
Ab welchem Alter fördern?
Wie früh also sollten Kinder eine zweite Sprache lernen? Eine aktuelle Studie der Universität Princeton in der Fachzeitschrift Developmental Science zeigt: Schon im Alter von 20 Monaten können Kinder in bilingualen Haushalten zwei Sprachen auseinander halten und bilden daraus keinesfalls ein „Kuddelmuddel“. Um dies zu beweisen, wurde beobachtet, wie sich die Pupillen der Kinder weiterten, wenn von einer in die andere Sprache gewechselt wurde. Der Mitautor der Studie Casey Lew-Williams, Psychologieprofessor an der Princeton Universität, schreibt. „Die Kinder denken nicht, dass „dog“ und „chien“ nur zwei Versionen derselben Sache sind. Sie verstehen, dass es sich dabei um zwei verschiedene Sprachen handelt.“ Nach Überzeugung der Studienautoren sind Kinder dazu in der Lage, eine Fremdsprache fließend vor dem Alter von sieben Jahren zu beherrschen. Die Sprachwahrnehmung der Kinder ist dann intuitiv aufnahmefähig für Aussprache und grammatikalische Strukturen eines Muttersprachlers. Diese Wahrnehmung verliert sich nach dem elften Lebensjahr, weshalb es Erwachsenen schwerer fällt, eine Fremdsprache zu erlernen. Lernt das Kind die erste Fremdsprache noch vor dem siebten Lebensjahr, ebnet sich auch der Weg für weitere Fremdsprachen. Tests haben ergeben, dass Kindern, die bereits eine Fremdsprache sprechen, das Erlernen der zweiten oder dritten Fremdsprache wesentlich leichter fällt.
Eine Fremdsprache wird also am besten schon im Kindergarten erlernt. Allerdings gilt: „Wer möchte, dass sein Kind eine zweite Sprache genauso gut spricht wie seine Muttersprache, wird das nicht mit wöchentlich ein bis zwei Stunden erreichen“, sagt die Psychologin Pauline Schröter vom Max-Planck-Institut. Immer mehr Kindergärten böten solche Sprachprogramme inzwischen unter dem Namen „bilingual“ an. Das schüre jedoch falsche Erwartungen. In Kindergärten, die wirklich bilingual sind, arbeiten festangestellte Erzieher aus beiden Sprachräumen. Die zweite Sprache gehört so zur tagtäglichen Kommunikation dazu.