Sprachenlernen auf vielen Wegen – Interview mit einem Spanischlehrer

Seit fast 13 Jahren lebt der 37-jährige Mexikaner José Antonio Salinas in Deutschland. Er arbeitet als Übersetzer, Korrektor und Spanischlehrer in Berlin, wo er mit seiner deutschen Frau und der gemeinsamen Tochter wohnt. Im Sprachennetz-Interview erzählt er, wie und wann er nach Deutschland kam und wie es ihm hier ergeht. Deutsch lernte er durch Immersion – im beruflichen und privaten Alltag.

JAS

(c) privat

Wo bist du aufgewachsen, Joséan?

J.A.: Ich bin in Mexiko aufgewachsen, die meisten Jahren meiner Kindheit und Jugend habe ich in Monterrey verbracht, aber ich habe auch in anderen Städten gelebt, weil meine Eltern ein paar Mal umgezogen sind.

Wann und warum kamst du nach Deutschland?

J.A.: Ich bin in 2002 nach Deutschland gekommen. Ich wollte ursprünglich einige Zeit in Spanien bleiben und einen Masterstudiengang studieren. Dort habe ich Inga kennengelernt, die ein halbes Jahr einen europäischen Freiwilligendienst gemacht hat. Wir haben uns ineinander verliebt und wurden ein Paar. Da sie nach dem Freiwilligendienst an der Universität Bielefeld studierten wollte und ich flexibel war, weil ich damals freiberuflich für eine mexikanische Zeitung gearbeitet habe, bin ich mit ihr nach Bielefeld gegangen. 2004 haben wir uns entschieden, nach Berlin zu ziehen, weil wir die Stadt natürlich viel interessanter fanden.

Erzähle uns bitte von deinem Werdegang und deiner aktuellen beruflichen Situation…

J.A.: Ich habe beruflich viele verschieden Dinge gemacht und erwähne hier nur die Wichtigsten. In Mexiko habe ich am Ende meines Psychologie-Studiums für eine Kulturzeitschrift gearbeitet. Bevor ich nach Spanien gegangen bin, habe ich mit meinen Eltern eine Kulturseite für eine lokale Zeitung betreut. Von Spanien aus beteiligte ich mich an einer Kinderkulturbeilage, die ebenfalls in einer mexikanischen Zeitung veröffentlicht wurde. Diese Arbeit habe ich in Deutschland bis Ende 2008 fortgesetzt, parallel zu meinem Magisterstudium in Spanien- und Lateinamerikastudien. Meinen mexikanischen Abschluss im Fach Psychologie hatte die Universität Bielefeld anerkannt – ich musste bloß noch eine mündliche Prüfung ablegen. 2008 habe ich angefangen, in Berlin freiberuflich zu arbeiten: als Übersetzer für Agenturen und Verlage, als Korrektor, zum Beispiel für das Sprachportal Babel, sowie als Spanischlehrer an Sprachschulen. Alle drei Tätigkeiten übe ich auch heute noch aus.

Seit 2004 bist du mit einer deutschen Frau verheiratet. Ihr  lebt mit eurer zweijährigen Tochter in Berlin. Welchen Einfluss hat deine Familie – und der Umstand, dass du eine deutsche Partnerin hast – auf dein Leben in Deutschland?

J.A.: Ich glaube, dass eine deutsche Partnerin, beziehungsweise ein deutscher Partner, dabei hilft, sich besser in die Gesellschaft zu integrieren, wenn man aus einem anderen Land hierher kommt. Mir hat meine Frau sehr dabei geholfen, besser Deutsch zu sprechen und – vor allem am Anfang – zu verstehen, auf welche Weise viele Dinge in Deutschland funktionieren, weil es natürlich im Vergleich zu Mexiko riesigen kulturelle Unterschiede gibt.

Welche positiven und negativen Erfahrungen hast du als Mexikaner in Deutschland gemacht?

J.A.: Es gibt hier viele Leute, die sehr offen und hilfsbereit sind. Ich kann mich zum Beispiel erinnern, dass ich einmal an der Uni Bielefeld im falschen Gebäude die Sprachschule gesucht habe. Eine Frau fragte mich, wonach ich suche und hat mich dann mit ihrem Auto zur Sprachschule gefahren, die nicht weit weg war. Das fand ich erstaunlich nett von ihr, weil wir uns gar nicht kannten. Es gibt natürlich auch Leute, die ungeduldig oder unfreundlich reagieren, wenn man als Ausländer die Sprache nicht fließend sprechen kann. Oder man wird dann einfach nicht ernst genommen. Das war vor allem in den ersten zwei Jahren in Deutschland ein Problem für mich und ein wichtiger Grund, die Sprache so gut wie möglich zu beherrschen. Ich habe den Eindruck, dass man wegen seiner Herkunft für Jobs abgelehnt wird, aber das erfährt man selten, weil die Arbeitgeber es nicht direkt sagen. Mir scheint, dass du bei vielen Jobs, auch wenn sie nicht sehr komplex sind, keine Chance hast, sie zu bekommen, wenn du als Ausländer Deutsch nicht wie ein Muttersprachler sprechen kannst.

Welche Beziehung hast du zur deutschen Sprache?

J.A.: Einerseits bin ich froh, dass ich eine schwierige und oft sehr präzise Sprache gelernt habe, andererseits ist es aus meiner Sicht nicht einfach, Deutsch wie ein Muttersprachler zu beherrschen. Meine Frau hilft mir, die Sprache zu verbessern und kann mir viele grammatikalische Fragen erklären – vor allem, weil sie auch Deutsch als Fremdsprache unterrichtet. Ich spreche viel Spanisch mit ihr, weil ich mich am Anfang unserer Beziehung daran gewöhnt habe. Wenn ich selbst unterrichte, rede ich natürlich Spanisch. Nur für die absoluten Anfänger spreche ich Deutsch. Die mündliche und schriftliche Kommunikation mit meinen Auftraggebern läuft überwiegend auf Deutsch. Im privaten Alltag spreche ich meist auch Deutsch.

Wie läuft das Sprachenlernen bei Eurer zweisprachig aufwachsenden Tochter ab?

J.A.: Sie ist jetzt drei Jahre alt. Ihre Mutter spricht Deutsch mit ihr und ich Spanisch. Deutsch ist die dominante Sprache in ihrer Umgebung und in der Kita, wo sie viele Stunden am Tag verbringt und die Erzieherinnen nur Deutsch mit ihr sprechen. Bis jetzt spricht und antwortet sie fast immer auf Deutsch, auch wenn ich mit ihr Spanisch spreche. Aber sie versteht praktisch alles, was ich auf Spanisch sage. Es ist normal dass bei Kindern, die bilingual aufwachsen, eine Sprache dominant ist. Um die in diesem Fall “schwache” spanische Sprache zu aktivieren, würde es ausreichen wenn wir ein bis zwei Monate in einem spanischsprachigen Land verbringen würden.

Als Lehrer im Unterricht sprichst du fast durchgehend Spanisch, außer mit den Anfängern. Welche Vorteile hat dieses Immersionskonzept aus deiner Sicht für die Schüler?

J.A.: Ich bin nicht so dogmatisch, dass ich in den Kursen immer nur Spanisch sprechen. Falls nötig, erkläre ich den Schülern die Grammatik auf Deutsch, vor allem denjenigen auf A1-Niveau. Wenn ich mit Schülern überwiegend Spanisch spreche, hat das den Vorteil, dass sie sich an die neue Sprache mit Vokabular, Grammatik und Phonetik schneller gewöhnen. Mit den A1-Anfängern spreche ich langsamer und benutze einfachere Vokabulen, damit sie möglichst viel verstehen.

Besteht die Gefahr, dass Lernende beim immersiven Verfahren vieles nicht richtig zu verstehen, so dass sie Zusammenhänge falsch interpretieren oder sich Strukturen falsch merken?

J.A.: Um Missverständnisse zu vermeiden, sage ich ihnen, dass sie mich immer fragen sollen, wenn etwas unklar ist. Bei Bedarf erkläre ich Zusammenhänge auf Deutsch. Auf diese Weise spart man Zeit und verhindert Frust bei den Lernenden, denn manchmal lässt sich insbesondere die Grammatik nicht mit einfacheren Wörtern erklären.

Welche Tipps gibst du Spanisch-Lernenden, um auch im deutschsprachigen Alltag ihr Spanisch zu verbessern?

J.A.: Es kommt darauf an, auf welchem Sprachniveau sie sind, welche Interessen sie haben und wofür sie Spanisch benötigen. Es gibt zum Beispiel kurze Krimis zu lesen, die an verschiedene Stufen, sogar bis an das A1-Niveau, angepasst sind. Andere Schülerinnen und Schüler interessieren sich mehr für Filme oder Musik – dann gebe ich ihnen spanischsprachige Tipps! Ganz allgemein, um Fortschritte zu machen, sollten Lernende möglichst jeden Tag etwas in der Fremdsprache hören, lesen, schreiben und vor allem selbst sprechen. Mittlerweile sind viele Sprachforscher der Meinung, Sprechen sei wichtiger als Grammatik, weil Sprachschüler die Sprache nur auf diese Weise aktivieren. Wer die Grammatik sehr gut kennt, kann nicht automatisch gut kommunizieren. Die meisten meiner Schüler wollen eine Sprache lernen, um sich mit Leuten unterhalten zu können, zum Beispiel auf einer Reise ins Ausland. Sie lernen nicht Spanisch, um eine komplizierte Grammatik-Prüfung zu bestehen.

Was vermisst du hier am meisten an Mexiko?

J.A.: Das original mexikanische Essen, die milderen Winter und die größere allgemeine Lockerheit der Mexikaner. Meine Eltern und ein Bruder von mir wohnen in den Vereinigten Staaten, deswegen vermisse ich meine Familie nicht „in Mexiko“. Ich vermisse manchmal meine mexikanische Freunde. Aber da ich inzwischen so lange in Deutschland wohne, sind meine engsten Freunde heute hier in Deutschland.

Und worüber bist du besonders froh in Deutschland?

J.A.: Ich bin sehr froh, dass die Städte viel sicherer sind als in Mexiko, auch wenn Berlin nicht gerade die ruhigste Stadt Deutschlands ist. Mir gefällt auch, dass man in der Nacht durch die Stadt laufen kann, ohne Angst zu haben und der Polizei in Deutschland vertrauen kann. Außerdem schätze ich, dass es sehr gute öffentliche Schulen und Universitäten und einen Sozialstaat gibt.