Wie Sprache unser Denken formt: in der Sprache über Sprache nachdenken. Eine kleine Philosophie-Stunde

von Anke Wilde

Es ist schon erstaunlich, was man mit Sprache alles machen kann. Man kann Kindern eine lustige Geschichte erzählen, sich mit ihrer Hilfe streiten und wieder vertragen, Anweisungen zum Kochen geben oder zum Experimentieren in der Wissenschaft. Sogar Quantenphysiker behelfen sich damit. Gigantische abstrakte Gebilde wie Staaten beruhen auf dem Wortlaut ihrer eigenen Gesetze. Und wenn man mag, kann man mit Hilfe von Sprache einen kompletten Aufriss der philosophischen Ideengeschichte zimmern.

Philosophen stolpern dabei sehr oft über die seltsame Sprache, die im Laufe von mehreren Jahrtausenden gelehrter Gedanken entstanden ist. Ständig müssen sie alles definieren, genauer erläutern und noch einmal zerlegen, damit es bloß nicht missverständlich wird.

 

Fallgruben allerorten: Sprache verliert ihre Selbstverständlichkeit

Ein Satz wie „An sich macht es Spaß, über Sprache nachzudenken“ ist aus philosophischer Perspektive eigentlich schon eine riesige Katastrophe. Die unschuldige Wortfolge „an sich“ muss in jedem Philosophieinteressierten die Alarmglocken schrillen lassen. Das „Ding an sich“ ist doch gar nicht erkennbar, also doch auch nicht der „Spaß an sich“! Es müsste doch eher „für sich“ heißen, aber mal ehrlich, wie klingt denn das? Und kann man denn mit Mitteln der Sprache einfach so über die Sprache nachdenken? Wäre es nicht so, als wolle man die Mathematik mit Hilfe von Mathematik beschreiben? Das heißt, landen wir da nicht, oh nein, bloß das nicht, in einem unendlichen Regress, quasi einer logischen Sackgasse?

Welche Beziehung zwischen der Sprache und unserem Denken besteht, wie unsere Wahrnehmungen und unsere Begriffe davon zusammenhängen, wie wir uns gegenüber anderen verständlich machen können, darüber haben sich Philosophen wie Platon und Aristoteles schon vor mehr als zwei Jahrtausenden den Kopf zerbrochen. Dass es da ein Problem geben könnte, scheint bei einem Baum wahrscheinlich weniger offensichtlich als bei seinen Farben oder der Bezeichnung der Art, deren Vertreter er ist. Da steht ein Baum, eine Linde beispielsweise, und reckt ihre Äste nach oben und ragt mit ihren Wurzeln in den Boden. Ein solcher Gegenstand lässt sich schwer bestreiten, und es ist ein Leichtes, ihm den Namen „Baum“ oder „Linde“ zu verpassen. Aber gibt es einen Ur-Baum oder eine Ideal-Linde in unserem Geiste, deren konkrete Vergegenständlichung dieses Exemplar hier ist? Meint das Wort „Linde“ in Wahrheit diese Idee oder den konkreten Baum vor unserer Nase? Nehmen wir die Farbe „Lindgrün“ genauso wahr wie unser Gesprächspartner, oder haben wir nur die gleichen sprachlichen Begriffe dafür? Was ist mit der Sprache, die wir für unsere Gefühle finden, die wir mit dem Baum verbinden? Und wie ist das, wenn wir unsere Linde und die Ebene des Konkreten komplett verlassen, wenn wir etwa eine Gesellschaftsordnung begründen oder wissenschaftliche Gesetzmäßigkeiten beschreiben?

Lange Zeit war das philosophische Denken geprägt vom Idealismus, also der Vorstellung, dass es neben der hiesigen Welt noch eine meta- physische, eine Welt „dahinter“ gäbe. Eine Welt des Geistes und der reinen Begriffe, die sich im Zweifel auch mit Gottesvorstellungen verbinden ließ. Erst mit dem Aufkommen des Empirismus, der empirischen Wissenschaften und der Entwicklungspsychologie wandelte sich diese Vorstellung allmählich. Plötzlich rückten die wahrgenommenen Dinge und die menschliche Entwicklung über Versuch und Irrtum in den Vordergrund. Sprache wurde mehr und mehr als Mittel zur Kommunikation aufgefasst, zum Austauschen von Gedanken. Zugleich kam ein großer Zweifel auf, beispielsweise bei John Locke der Zweifel, ob man sich denn überhaupt noch miteinander verständigen könne, wenn man doch gar nicht wissen kann, ob der andere die Sprache genau so verwendet wie man selbst.

 

Die linguistische Wende

Von den idealistischen Ideen wie auch dem Zweifel an hundertprozentiger Verständigung löste sich schließlich die analytische Philosophie, und zwar aufbauend auf der Philsophie Friedrich Ludwig Gottlob Freges. Er proklamierte den „linguistic turn“, erklärte die Sprache zu dem einzigen Mittel, das wir haben, um über Wahrheit und Nichtwahrheit, Sinn und Unsinn zu entscheiden. Sprachphilosophie wurde für ihn zur eigentlichen Philosophie. Zudem gilt er als der Begründer der modernen Logik, die immerhin sogar Einzug in die Informationstechnik und in die Programmiersprachen hielt.

In der Tradition Freges setzte allmählich ein Aufräumen mit der Sprache ein, der Philosophie der Sprache und der Philosophie überhaupt. Dabei verwiesen etliche Philosophen etliche philosophische Probleme in den Bereich der Scheinprobleme und der sprachlichen Missverständnisse. Vor allem Ludwig Wittgenstein, der Freges Gedanken weiterentwickelte, muss eigentlich allen Studierenden der Philosophie als Rettung in der Not erscheinen. Mit einfachen, klaren Sätzen kommt er daher und wirft dabei zwar trotzdem reihenweise Fragen auf, aber er erspart seinen Lesern die grammatische Analyse, die ihnen dereinst Kant und Hegel und Schopenhauer aufgebürdet hatten. Was sich sagen lässt, lässt sich klar sagen, so seine Auffassung. Dabei hatte er wie Frege zunächst noch eine ideale, formale Wissenschaftssprache im Sinn und weniger eine Sprache, die im täglichen Miteinander verwendet wird. Wittgenstein sezierte die Gedanken der Philsophen der alten Schule, um sie schließlich mit dem Label „Unsinnige Metaphysik“ endzulagern. Und zwar höflich auf den Punkt gebracht mit dem legendären letzten Satz des Tractatus Logico-philosophicus: „Wovon man nicht sprechen kann, darüber muss man schweigen.“

Nachdem Wittgenstein der Auffassung war, mit seinem Tractatus die Probleme der Philosophie gelöst zu haben, beendete er Jahre später sein Schweigen und wendete sich doch noch der alltäglichen Sprache zu. Nach Auffassung dieses „späten Wittgensteins“ ist jede Anwendung von Sprache ein Sprachspiel, das bestimmten Regeln folgt. Diese Regeln erlernen wir zusammen mit der Sprache. Sie zeigen sich im Gebrauch, wie Wittgenstein sagt. Es braucht für diese Sprache mitsamt ihrer Grammatik, Syntax und Phonetik also keiner universellen, idealtypischen Regeln, und letztlich leisten auch die alltäglichen Sprachen alles, was man so braucht – sogar für die Lösung philosophischer Fragen. Wir lernen einfach, wie die Wörter „Baum“ und „Linde“ zu gebrauchen sind, und damit basta. Und wenn wir uns missverstehen, nutzen wir eben die Sprache, die uns zur Verfügung steht, um alles zu klären oder eben festzustellen, dass wir uns nicht verstehen. Jenseits davon aber gibt es nichts, denn die Ideen und unser Denken sind erst mit dieser erlernten Sprache entstanden. Selbst das Fühlen und das Empfinden von Schmerz fasst Wittgenstein als Tatsachen auf, die man mit Hilfe von Sprache sachlich beschreiben kann.

Das hat sogar Anwendung in der Erziehung gefunden: Entwicklungspsychologen empfehlen den Eltern gerade von Kleinkindern, ihnen durch plötzliche Wutausbrüche zu helfen, indem sie deren mutmaßlichen Empfindungen in passende Worte kleiden. Nach der Art: „Du bist jetzt sicherlich wütend, weil dein Bruder dir nicht sein Spielzeug geben will.“ Das schafft ein Vokabular, auf das man später ebenso gut zurückgreifen kann, wie wenn man einen Baum beschreiben will, mit staatlichen Institutionen in Kontakt tritt, ein Gericht aus dem Internet nachkocht oder in fröhlicher Runde die letzten Fragen bespricht.

 

 

 

 

 

 

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