Welche Sprachen fallen Deutschen leicht?
von Annette Leyssner
Wonach suchen angehende Sprachstudenten eine Sprache aus? Normalerweise gibt es einen Anlass – beispielsweise, wenn man eine italienische Freundin kennengelernt hat oder beruflich nach Frankreich muss. Manche Sprachen sind vom Klang her so angenehm, dass viele beschließen, sie zu lernen: Französisch oder Italienisch gelten als besonders melodiös. Eine andere Motivation ist die Faszination bestimmter Kulturräume, zum Beispiel des Orients oder Asiens. Das kann den Ausschlag dafür geben, Arabisch, Chinesisch, Japanisch oder Indisch zu lernen.
Ein weiteres mögliches Kriterium ist die Frage: Welche Sprachen sind besonders einfach zu lernen? „Deutsche Muttersprachler fallen Sprachen leicht, die aus der gleichen Sprachfamilien stammen“, sagt Sprachforscher Udo Ohm von der Universität Bielefeld. Sehr eng mit dem Deutschen verwandt sind die germanischen Sprachen. Neben Deutsch zählen dazu Englisch, Niederländisch, Dänisch, Schwedisch, Norwegisch, Isländisch, Färöisch, Jiddisch und Afrikaans.
Es sei belegt, dass sich deutsche Lerner mit Englisch am leichtesten tun, so Ohm. Die meistgesprochene Sprache der Welt ist im deutschen Alltag überall präsent. Weltweit gibt es circa 360 Millionen Muttersprachler, insgesamt sprechen etwa zwei Milliarden Menschen diese Sprache – das sind 30 Prozent der Weltbevölkerung. Die Wörter sind kurz, es gibt keine Geschlechter und die Verben ändern sich nur in der dritten Person. Nach Englisch finden Deutsche auch schnell Zugang zum Niederländischen, Norwegischen und Schwedischen. Der große Vorteil hier: die Überschneidungen im Wortschatz dieser Sprachen. Zum Beispiel hört man morgens im Büro in Schweden ein God morgon! und in Norwegen ein God morgen!. Dieser Vorteil kann aber zu einer Falle werden: Es lauert die Gefahr, sich „falsche Freunde” anzulachen. Das sind Wörter, die ähnlich oder genauso klingen wie im Deutschen, allerdings eine komplett andere Bedeutung haben. Zum Beispiel ist ein brave girl im Englischen keineswegs ein braves sondern ein mutiges Mädchen.
Sprachen aus der Familie der romanischen Sprachen wie Französisch, Italienisch, Spanisch oder Portugiesisch sind für einen Deutschen auch noch problemlos zu lernen, weil sie zumindest dieselben Schriftzeichen verwenden. Ein Vorteil bei Spanisch: Die Sprache wird so gesprochen wie sie geschrieben wird. Zudem hat sie weniger grammatikalische Unregelmäßigkeiten als andere romanische Sprachen.
Wer hingegen eine echte Herausforderung beim Sprachstudium sucht, ist bei den Tonalsprachen wie Chinesisch, Thai oder Vietnamesisch richtig. Nicht nur muss man sich hier ein komplett neues System der Schrift aneignen, sondern auch sehr viel Zeit in das Lernen der Aussprache investieren: Durch eine Änderung der Tonhöhe einer Silbe ändert sich die Bedeutung des Wortes. „Da uns Europäern diese Tonalitäten nahezu komplett fehlen, gelten Tonalsprachen als sehr schwierig zu lernen“, erzählt der Experte Ohm. Besonders hohen Durchhaltewillen erfordert Yagua, gesprochen im peruanischen Amazonas-Gebiet. Hier wird zwischen fünf Graden der Vergangenheit unterschieden. So zeigt der Sprecher, ob seit einem Ereignis Stunden, Tage, Monate oder eine noch längere Zeitspanne vergangen sind.
In welche Sprache soll der Deutsche nun seine Lernenergie stecken? „Es kommt weniger darauf an, wie schwierig oder leicht sie ist. Viel wichtiger ist die Leidenschaft dafür, geeignete Lernstrategien und ein bisschen Disziplin und Fleiß. Ja, und das berühmte „Baden in der Sprache“ – also der fortwährende Kontakt mit der Sprache – schadet nie“, sagt der Bielefelder Sprachforscher Udo Ohm. Egal welche Fremdsprache wir lernen – in jedem Fall lernen wir dabei auch die eigene Muttersprache besser kennen, betont er. Wie sagte es Goethe so schön: Wer fremde Sprachen nicht kennt, weiß nichts von seiner eigenen!