Die Sprachen unserer Nachbarn: Polnisch

von Anke Wilde

In unserer neuen Serie: Die Sprachen unserer Nachbarn, stellen wir Euch ab jetzt einmal im Monat die Sprache eines Nachbarlandes vor. Im ersten Teil geht es heute um die polnische Sprache.

Wer behauptet, das Polnische sei eine komplizierte Sprache, der lügt leider nicht. Das geht schon mit der Grammatik der Verben los: Es gibt regelmäßige und unregelmäßige, und dazu kommt noch, dass es für fast jedes Verb gleich zwei Formen gibt. Nämlich den perfektiven und imperfektiven Aspekt. Dieser besagt, inwieweit eine Handlung abgeschlossen ist oder sein wird oder bereits wurde, oder ob sie noch im Verlauf ist oder war oder sein wird. Wer bereits eine andere slawische Sprache beherrscht und dieses Feld durchdrungen hat, kennt dies bereits. Dann muss man sich nur noch merken, welche Form für welchen Aspekt steht.

Auch mit den Substantiven und Adjektiven wird es nicht leichter: Sieben Fälle gibt es, mit einer großen Bandbreite von Ausnahmen (und Ausnahmen von den Ausnahmen). Immerhin, der Vokativ dient ausschließlich der höflichen Ansprache. Eine solche Vielzahl der Fälle hat aber auch gewisse Vorteile, erlaubt sie es doch, den Satzbau sehr frei zu gestalten. Es ist dabei ähnlich, wie im Deutschen, wo man einen Satz wie “Gestern habe ich den Film gesehen” ganz nach Belieben und Bedeutungsnuancen umstellen kann, bis hin zu “Gesehen habe ich den Film gestern”. In Sprachen wie dem Englischen ist das völlig anders. Hier gibt die Stellung der Worte im Satz den entscheidenden Hinweis darauf, wer oder was das Objekt im Satz ist und wer oder was das Subjekt. Entsprechend starr ist also die Satzstruktur.

Laute und Zungenbrecher

Nicht nur die Grammatik, sondern auch die Phonetik des Polnischen ist nicht ganz einfach. Schon bei der Begrüßung “cześć” fällt auf: Das Polnische benutzt diakritische Zeichen, das heißt, der lateinische Schriftsatz ist um ein paar Kringel und Häkchen erweitert worden, um ihn für die im Polnischen vorhandenen Laute tauglich zu machen. Der auffälligste von ihnen ist vermutlich das “ł”, ein L, das so hart ist, dass es eher als ein U-Laut daherkommt. Geradezu ein Zungenbrecher ist für viele deutsche Muttersprachler die Buchstabenfolge “rz”. Sie steht für eine Kombination aus einem gerollten “R” und einem stimmhaften “Sch”.

Dennoch erscheint das Polnische vielen Nichtmuttersprachlern als eine vergleichsweise weiche slawische Sprache. Das liegt vor allem an den Nasalvokalen, wie beispielsweise in dem polnischen Wort für “fünf”, “pięć”. Sie sind nicht etwa auf Einflüsse aus dem Französischen zurückzuführen – die “Chance” heißt auf Polnisch beispielsweise “szansa”. Stattdessen sind die Nasalvokale ein Überbleibsel aus dem Urslawischen, die in den meisten slawischen Sprachen im Laufe der Zeit durch Lautverschiebungen aufgelöst worden sind. Außer im Polnischen sind sie nur noch im Kaschubischen vorhanden, einer Regionalsprache, die vor allem im Raum um Gdansk gesprochen und verstanden wird.

Von Vornherein lateinisches Alphabet

Wie die meisten anderen europäischen Sprachen gehören die slawischen Sprachen und damit auch das Polnische zur indoeuropäischen Sprachfamilie. In der Geschichtsschreibung wurden die Slawen erstmals im 6. Jahrhundert erwähnt. Als ihre “Urheimat” gilt in den Sprachwissenschaften die Großregion des heutigen Ostpolens, Weißrusslands, der Ukraine und Westrusslands.

Die Entstehung der polnischen Schriftsprache ist eng mit der christlichen Kirche verbunden. Bereits im Jahr 966 war der damalige Herzog Mieszko I. freiwillig zum Christentum übergetreten. Aus seinem Reich ging das Königreich Polen hervor. Anders als die ostslawischen Sprachen oder auch das Tschechische, deren frühes Schriftsystem von dem Mönch Kyrill aus dem griechischen Alphabet entwickelt wurde, übernahm das Polnische von Vornherein das lateinische Alphabet.

Viele Lehnwörter stammen aus dem Lateinischen, aber auch aus dem Deutschen, weil sich seit dem späten Mittelalter viele Deutsche in den polnischen Städten angesiedelt hatten. Vermutlich im 13. Jahrhundert entstand das erste poetische Text in polnischer Sprache, die “Bogurodzica”, ein religiöses Lied auf die Gottesmutter Maria.

Die Renaissance als goldenes Zeitalter der polnischen Sprache

In der Zeit der Renaissance, genauer im 16. Jahrhundert trugen Literaten wie Mikołaj Rej (1505-1569) und Jan Kochanowski (1530-1584) dazu bei, dass das Polnische sich von einer Sprache des Alltags auch zu einer ausgefeilten Literatursprache entwickelte. Kochanowski hatte unter anderem in Italien studiert, und einige italienische Einflüsse in der polnischen Sprache sind auf ihn zurückzuführen.

Polen war zu dieser Zeit eines der kulturellen Zentren Europas, und als Wahlmonarchie war es ein überaus fortschrittlicher Staat. Allmählich zerrieb sich diese Blüte jedoch. Die Aristokraten wählten schwache Könige, und schließlich wurde Polen zum Spielball der um es herum aufstrebenden Mächte. Die drei Teilungen des Königreichs am Ende des 18. Jahrhunderts zwischen den preußischen, habsburgischen und russischen Monarchien führten einerseits zu einer Unterdrückung der polnischen Kultur und wirkten sich andererseits auch sprachlich aus. So gelangten in dieser Zeit viele russische Wörter in das Polnische.

Doch auch die Nationalbewegungen in Europa im 19. Jahrhundert gingen an Polen nicht spurlos vorbei. Dabei entstand zunächst eine reiche romantische, später realistische Literatur, die der polnischen Sprache zur neuen Blüte verhalf. Heute ist das Polnische die sechstgrößte Sprache der EU, mit etwa 38,5 Millionen Sprechern in Polen selbst und mehr als 8 Millionen Sprechern im Ausland.