Fremdsprachen mit Köpfchen erwerben

© A. Middeldorf/Freie Universität Berlin

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86 Milliarden Nervenzellen, über 100 Billionen Synapsen: Studien liefern beeindruckende Zahlen zum menschlichen Gehirn. Aus dem Zusammenspiel seiner Elemente erklärt sich dessen Leistungsfähigkeit. Auch beim Fremdsprachenlernen ist das Hirn die Schaltzentrale, wie neurowissenschaftliche Untersuchungen belegen. Einige didaktische Konzepte und Methoden zum Erwerb von Fremdsprachen fußen auf Ergebnissen der Neurowissenschaften. Diese sind auch ein Thema auf der kommenden EXPOLINGUA Berlin am 20. und 21. November.

Aktivierte Hirnbereiche bringen Lernerfolge

Für Michaela Sambanis, Professorin für Didaktik am Institut für Englische Philologie an der Freien Universität Berlin, bilden Fremdsprachendidaktik und Neurowissenschaften erwiesenermaßen eine produktive Allianz. „Als Faustregel lässt sich sagen: Je mehr Hirnbereiche im Lernprozess aktiviert werden, desto höher der Lernerfolg“, erklärt die Autorin des Buches „Fremdsprachenunterricht und Neurowissenschaften“ (Narr Studienbücher, Tübingen 2013).

Verstärkte Aktivitäten in unterschiedlichen Hirnregionen ermöglichen bessere Lernerfolge. Zum Beispiel beim Bewegungslernen, wo Sprache mit Bewegung kombiniert wird und ein sensomotorischer Zugang etwa das Einprägen von Vokabeln erleichtert. Ein anschauliches Praxis-Beispiel mit entsprechenden Übungen zeigt ein Japanisch-Kurs für Anfänger am Leipziger Max-Planck-Institut für Neurowissenschaften unter Anleitung der Sprachforscherin Dr. Manuela Macedonia, wo das Erlernen neuer Wörter mit spezifischen Bewegungen kombiniert wird: https://www.youtube.com/watch?v=i3ACkpBqDeY.

Bauchklopfer gegen den Hunger

Zur japanischen Begrüßungsformel „konnichiwa“ faltet Manuela Macedonia die Hände und verbeugt sich. Die Gruppe macht es ihr nach und wiederholt jede Übung mindestens zwölf Mal, damit sich die Wörter gut einprägen. Wichtig ist beim Bewegungslernen immer, dass die Bewegung zum Sinn der jeweiligen Aussage passt. So klopfen sich Lehrerin und Lerngruppe beim Bekenntnis „Onaka ga suita“ („Ich habe Hunger“) demonstrativ auf den Bauch.

„Forschungen der letzten Jahre haben ergeben, dass beim Bewegungslernen Bereiche im Gehirn aktiviert werden, die Bewegungen steuern. Dadurch werden Informationen umfassender gespeichert“, erläutert Michaela Sambanis. Dies führe quer durch alle Altersgruppen dazu, dass beispielsweise Vokabeln stärker im Hirn verankert sind und sich langfristig besser merken lassen. „Man lernt ein Wort, indem man es hört und liest und sich dann merkt. Beim Bewegungslernen kommt positiv verstärkend dazu, dass das Gehirn ein gelerntes Wort beim Aufrufen oder Erinnern mit der dazu gelernten Bewegung verknüpft.“

Bewegung, Drama, Emotion und Kognition

Michaela Sambanis weiß, dass Bewegungslernen den meisten Lernenden Spaß macht und sie motiviert. Und Lehrkräfte können es im Unterricht leicht umsetzen. Auch performative Theater- und Drama-Methoden, wie sie in der Zeitschrift „Scenario“ vorgestellt werden, sowie Konzepte, die beim Lernen auf das Zusammenspiel zwischen Emotionen und Kognitionen setzen, basieren auf neurowissenschaftlichen Erkenntnissen. „Situationen, an denen wir aktiv beteiligt sind und Dinge, die uns emotional berühren, sorgen nachweislich für bessere Lerneffekte“, führt Sambanis aus. Ganz gleich, ob es sich dabei um ein Bild, ein persönliches Erlebnis oder eine dramatisch inszenierte Lernsituation handelt.

Während Bewegungslernen und performative Methoden beim Fremdsprachenerwerb in Kindergärten und Grundschulen fest verankert sind, haben sie sich in höheren Schulstufen noch nicht flächendeckend verbreitet.  „Das Interesse an diesen Konzepten nimmt aber kontinuierlich zu – sowohl in den Sekundar- und Oberstufen, wie auch in der Erwachsenenbildung“, so Sambanis.

Auch Senioren können laut Sambanis beim Lernen einer Sprache von den genannten Konzepten profitieren. Außerdem könnten ältere Lernende an persönliche Erinnerungen und Anekdoten anknüpfen, diese als Eselsbrücken nutzen und gute Lerneffekte erzielen. Zwar schrumpft die Hirnmasse im Alter, aber das Sprachenlernen hält die Älteren geistig fit.

Um hirngerechtes Sprachenlernen geht es auch auf der Tagung „Focus on Evidence“ (FoE) am 11.12. 2015 an der Katholischen Universität Eichstätt-Ingolstadt, die die Konferenz mit der Freien Universität Berlin organisiert. Angemeldete Teilnehmer können die Tagung als Web-Seminar verfolgen. Im Fokus stehen die Themen „Sprache hören und richtig verstehen“, „das Schreiben und Lesen“, „das Sprechen mehrerer Sprachen“ sowie „das Sprachgedächtnis“. Fünf Neurowissenschaftler präsentieren ihre Forschungsergebnisse und diskutieren mit 60 Experten für Sprachausbildung über deren Umsetzung im Sprachunterricht. Prof. Michaela Sambanis und Prof. Heiner Böttger (KU Eichstätt-Ingolstadt) moderieren die Debatten im virtuellen Raum und vor Ort. Die Tagung ist öffentlich, Teilnahmegebühr: 19 Euro.