Das Ende kommt zuerst: die verdrehte Jugendsprache Verlan im Französischen
Die „Frau“ heißt „meuf“, das Wort für „Familie“ lautet „mifa“ und mit „iench’“ ist der „Hund“ gemeint. Wer Französisch in der Schule und an der Universität lernt, versteht bisweilen nach der Ankunft im Nachbarland nur Bahnhof. Denn im Kontakt mit Jugendlichen und Studenten zeigt das Französische eine seiner Seiten, die Lehrbücher nur selten vermitteln. Auf den korrekten Gebrauch des Standard-Französisch achtet die Académie Française. Die „langue djeunz“ (gebildet aus „langue des jeunes“, dt. „Sprache der Jugendlichen“) geht jedoch mit den Regeln der Wort- und Satzbildung freier um. Der Verlan, eine besondere Ausprägung der Jugendsprache, hat sich über die Jahrzehnte gar in fast allen Alters- und Gesellschaftsgruppen durchgesetzt: Auch mancher Professor einer „grande école“ spricht heute ab und an gern verkehrt.
Karriere eines Jugendjargons
Jugendsprache gilt als eine Varietät der Standardsprache. Ihr Hauptmerkmal ist der vorherrschende Gebrauch in der mündlichen Kommunikation oder in Kommunikationsmitteln, die sich am Mündlichen orientieren. Weitere Kennzeichen sind Abweichungen von der Grammatik, Bildhaftigkeit und auch Vulgarismen. Doch der Begriff Jugendsprache suggeriert eine Einheitlichkeit, die in der Wirklichkeit jedoch selten anzutreffen ist: Die Sprache Jugendlicher kann von Ort zu Ort variieren und ist schnelllebig. Ein Wort, das heute zur Jugendsprache gezählt wird, kann morgen schon vergessen sein – oder es findet Eingang in die Alltags- und Standardsprache.
Viele ursprünglich jugendsprachliche Begriffe und Techniken sind heute im gesprochenen Französisch weithin verbreitet. Das aus dem Arabischen stammende „kiffer“ etwa bedeutet dasselbe wie „aimer“ (dt. mögen). Eine besonders große Bedeutung kommt dem Verlan zu, einem Jargon, der sich seit den 1950ern herausbildete und bis heute praktiziert wird. Die Bezeichnung veranschaulicht zugleich die zentrale Regel des Slang, nämlich die Umkehrung von Silben: „Verlan“ geht zurück auf die Wendung „à l’envers“ (dt. „umgekehrt“).
Der Verlan entstand im Arbeiter- und Migrantenmilieu. Besonders ab den 1970ern entwickelte er sich schnell und verbreitete sich durch Film und Musik. Hip-Hop-Künstler und Rapper machten den Verlan in den 1990ern schließlich weithin alltagstauglich. Der 1985 geborene belgische Rapper Stromae hat den Verlan zur künstlerischen Namensfindung genutzt: „Stromae“ bedeutet dasselbe wie „maestro“. Seit rund zehn Jahren wird eine bestimmte Form des Verlan – bestehend aus einem festen Vokabular – von allen Menschen in Frankreich mehr oder minder verstanden und auch gebraucht. Wörter wie das eingangs erwähnte „meuf“ für „Frau“ oder auch „beur“ für „Araber“ zählen dazu. Doch wie kommen diese Wörter genau zustande?
Wortbildung im Verlan
Neue Wörter entstehen im Verlan anhand folgender Schritte, verdeutlicht am Wort „arabe“ (dt. Araber):
- Der letzte Vokal eines Wortes wird entweder unterdrückt oder es wird ein Vokal hinzugefügt, wenn es die folgenden Schritte erforderlich machen sollten: „arabeuh“
- Das Wort wird in Silben geteilt: „ara-beuh“
- Die Silben werden verdreht: „beuh-ara“
- Die letzte Silbe des neu entstandenen Wortes wird entweder verkürzt oder völlig abgestoßen: „beur“
Besonders enthusiastische Verlan-Sprecher haben aus dem neu gewonnenen „beur“ durch erneute Verkehrung der Silben „rebeu“ gewonnen. Weitere Beispiele: „garetteci“ oder auch „garo“ lautet die Entsprechung für „cigarette“ (dt. Zigarette) und „géman“ die für „manger“ (dt. essen). Worin aber liegt der Reiz jugendsprachlicher Jargons wie dem Verlan? Oder anders: Welche Funktionen erfüllen Jugendsprachen?
Funktionen der Jugendsprache
Die wichtigste Funktion der Jugendsprache ist die Abgrenzung und Identitätsstiftung, sei es gegen die Erwachsenenwelt oder andere gesellschaftliche Gruppen. Wörter entstehen, weil die Jugendlichen Begriffe für neuartige Phänomene und Gegenstände brauchen und weil sie ihren Gefühlen wie Wut, Enttäuschung und Freude Ausdruck verleihen und ihre Kreativität ausdrücken möchten. Mit dem Verlan grenzten sich die ursprünglichen Sprecher – Migranten aus den ehemaligen französischen Kolonien in Afrika – von der französischen Mehrheitsgesellschaft ab. In Deutschland gilt das ursprünglich zumeist von Jugendlichen mit Migrationshintergrund gesprochene „Kiez-Deutsch“ als eine der wichtigsten Strömung der Jugendsprache.
Aktualität des Verlan
Der Verlan deckt keinesfalls alle Erscheinungen der französischen Jugendsprache ab. Auch Riten und bestimmte Floskeln sind darin wichtig. Bedeutsam ist der Verlan aber innerhalb der Morphologie. Kritikern galt das aufwändige Verfahren der Wortbildung als künstliche und überflüssige Sprachspielerei. Manche sagten den Verlan tot. Doch Kommunikationstechniken wie SMS, Twitter und Internet-Chats haben dem Verlan in der digital geprägten Welt sein Überleben gesichert und vor allem seinen praktischen Aspekt deutlich gemacht: die Kürze. Wer in Frankreich verstehen möchte und verstanden werden will, kommt nicht um grundlegende Kenntnisse der Jugendsprache herum. Ein guter Französischlehrer weiß darum und hält seinen Schülern die wichtigsten Verlan-Wörter nicht vor.
Über aktuelle sprachliche Phänomene in Frankreich und Deutschland informiert das Portal www.fplusd.org.