Saluton, Esperanto: Brückensprache für Jedermann
Wäre das nicht toll? Eine Weltsprache, mit der sich alle Menschen verständigen können, die weltweit Brücken baut zwischen den Völkern und Nationen! Diese Idee hatte vor über 130 Jahren Ludwik Lejzer Zamenhof (1859-1917). Gedacht, getan – der Augenarzt und Philologe erfand und konstruierte die bis heute einzig voll ausgebildete Plansprache: Esperanto. Und das klingt so.
Geburtsjahr 1887
Zamenhofs erste, 40-seitige Broschüre über und teils in Esperanto trägt den Titel „Internationale Sprache. Vorrede und vollständiges Lehrbuch“ und wurde erstmals 1887 in Warschau auf Russisch publiziert. Im selben Jahr folgten Ausgaben in Polnisch, Deutsch und Französisch. Der Verfasser wählt das Pseudonym Dr. Esperanto – eine Bezeichnung die erst später auf die neue Sprache angewandt wird und auf Deutsch einen Hoffenden bezeichnet.
Das sogenannte „Unua Libro“ (Erste Buch) enthält mit 16 Grammatik-Regeln und einer Wörterliste von über 900 Wortstämmen die Grundlagen der Sprache. Sie wird in lateinischen Schriftzeichen verfasst und aus unveränderlichen Wortelementen gebildet. Als Beispieltexte der Plansprache dienen das „Vaterunser“, der Anfang der Genesis, ein Musterbrief, zwei Gedichte von Zamenhof und Auszüge aus Lyrik Heinrich Heines.
Zamenhof von klein auf polyglott
Dass ausgerechnet der polnische Augenarzt mit jüdischen Wurzeln Esperanto erfand, ist kein Zufall. Ein mehrsprachiges Umfeld war ihm in die Wiege gelegt: Zamenhof wuchs in der ethnisch gemischten Stadt Białystok auf, die damals zum russischen Zarenreich gehörte. Der Vater spricht meist Russisch, die Mutter Jiddisch, auf der Straße lernt der Junge Polnisch und entdeckt schon im Kindesalter seine Leidenschaft für Fremdsprachen. In der Schule lernt er Griechisch, Latein und Englisch, hinzu kommen Deutsch, Französisch und Hebräisch.
Schon in jungen Jahren wünscht sich Zamenhof eine neue, leicht erlernbare Sprache, die der untereinander verfeindeten Menschheit ein „neutrales“ Instrument zur Verständigung bietet. Er macht es sich zur Aufgabe, an einer solchen „Lingwe Uniwersale“ zu feilen. 1878 singt er Freunden zu seinem 18. Geburtstag ein Lied in seiner neuen Sprache, von der nur Fragmente geblieben sind. Danach arbeitet er weiter an dieser Lebensaufgabe. 1885 finalisiert er den Entwurf für das 1887 veröffentlichte „Unua Libro“ über die „Internationale Sprache“, also Esperanto.
Die neue Sprache verbreitete sich zunächst im Russischen Reich und in Schweden, ab 1900 auch in Westeuropa. Bis 1914 gab es Landes- und Ortsverbände von Esperantisten in allen Kontintenten. Die Sprache hatte sich damit von ihrem Erfinder emanzipiert.
Mehr als ein ewiger Exot
Durchgesetzt hat sich Esperanto wie alle anderen konstruierten Sprachen zwar nicht. Jedoch haben laut Schätzungen von Experten seit 1887 immerhin zwischen fünf und 15 Millionen Menschen in knapp 120 Ländern Esperanto erlernt, die meisten in Europa, China, Japan und Brasilien. „Verhältnismaßig viel Esperanto wird eher in kleineren Ländern gesprochen, zum Beispiel in Island, Ungarn oder den baltische Staaten“, erklärt Esperanto-Experte Roland Schnell. Dort sei es dank der Überschaubarkeit und flacher Hierarchien leichter, Informationen über Esperanto zu verbreiten. Rudolf Fischer, ehemals Vorsitzender des Deutschen Esperanto-Bundes, schätzte die Zahl der Sprecher, die Esperanto fließend und regelmäßig verwenden, 2008 weltweit auf rund 100.000, davon kämen etwa 2000 aus Deutschland.
Genutzt wird die Sprache oft von reisenden Esperanto-Sprechern, die global miteinander vernetzt sind und sich gegenseitig besuchen, vereinzelt auch in Wissenschaft und Handel. Es gibt eine umfangreiche Übersetzungs- und Originalliteratur. Unter den Nationalsozialisten war die Sprache in Deutschland verboten. Nach dem 2. Weltkrieg wurde Esperanto speziell in den Ostblock-Staaten gefördert und unterrichtet, die sich wie auch China gegen die Weltsprache Englisch sträubten. 1982 gab es in 36 Ländern der Welt staatlich initiierten Esperanto-Unterricht.
Das Esperanto-Alphabet hat 28 Buchstaben, von denen jeder nur einem Laut bzw. Phonem entspricht. In der Struktur analog zum deutschen Alphabet bilden A und Z auch Anfang und Ende, die Vokalphoneme lauten a, e, i, o, u. Es fehlen q, w, x und y. Dafür gibt es andere Einzel-Buchstaben, die Lauten entsprechen, für deren Bildung es in der deutschen Schriftsprache im Regelfall mehrere Buchstaben braucht: ĉ (Matsch), ĥ (Krach), j (Garage), ĝ (Dschungel), ŝ (Tasche), ŭ (Auto).
Typisch Esperanto
In der Regel werden unveränderliche Wortelemente zusammengefügt. So zeigt etwa das Suffix „j“ die Mehrzahl an, wenn aus domo (Haus) domoj (Häuser) wird. Der Wortstamm ändert sich generell nicht. Zamenhofs Ziel der einfachen Erlernbarkeit zeigt sich auch daran, dass Deklinieren von Subjektiven sowie die Verb-Konjugation nur jeweils einem festen Schema folgen. So wird das Verb „sein“ ebenso regelmäßig konjugiert wie alle anderen Verben: mi estas (Ich bin), vi estas (Du bist), li estas (Er ist), ŝi estas (Sie ist).
Wortarten lassen sich an bestimmten Endungen erkennen. So enden Substantive im Singular stets auf „o“, wie in domo, Adjektive dagegen schließen mit einem „a“ (wie in doma = häuslich).
Die meisten Wörter stammen aus dem Lateinischen und romanischen Sprachen, aber auch germanische Sprachen (speziell Deutsch und Englisch) sowie slawische Sprachen (vor allem Polnisch und Russisch) und Griechisch bilden einen Anteil. Viele Wörter werden in diversen indogermanischen Sprachen ähnlich verwendet. Beispiel: religio (Esperanto), religion (Englisch), Religion (Deutsch), religion (Französisch), religia (Polnisch).
Pflege und Verbreitung
Der größte globale Dachverband ist der Esperanto-Weltbund „Universala Esperanto-Asocio“. 1908 in der Schweiz gegründet, sitzt er heute in Rotterdam, hat über 20.000 Mitglieder und organisiert den jährlichen Weltkongress.
Der Verein EsperantoLand engagiert sich für die Pflege und Verbreitung der Sprache und bietet einen gratis Online-Sprachkurs mit Text- und Grammatik-Übungen auf seiner Homepage zum Download an. Für Einsteiger finden sich hier auch ein paar Mini-Lektionen. Darüber hinaus weist die Webseite von EsperantoLand Interessierten den Weg zu Esperanto-Treffen und sammelt aktuelle Presse-Nachrichten rund um die Plansprache.
Auch der Deutsche Esperanto Bund (DEB), hierzulande mit über 1500 Mitgliedern die größte Esperanto-Organisation, verfügt über einen Online-Terminkalender für Veranstaltungen. Dazu informiert die Homepage über bundesweite Anbieter und Kursangebote zum Erlernen der Sprache, verlinkt auf Esperanto-Podcasts, Lehrbücher, Literatur, Musik und entsprechende Angebote in Sozialen Netzwerken. Der DEB hat auch eine Nachwuchorganisation mit Orts-, Regional- und Landesverbänden, die Deutsche Esperanto-Jugend.
Passionierter Esperantist
Roland Schnell engagiert sich ebenfalls für Esperanto. Der studierte Chemiker unterrichtet im internationalen Studiengang “Renewable Energy” an der SRH-Hochschule in Berlin das Fachgebiet “Bioenergy”. Er hat Esperanto noch vor dem Abitur gelernt und wendet es seitdem mehr oder weniger intensiv an. „Es gab eine Anzeige in der Tageszeitung in meinem Heimatort, mit der Leute gesucht wurden, die das Lehrmaterial ‘Esperanto programita’ testen sollten. Programmierter Unterricht war ein ziemlicher Kult Ende der 1960er Jahre“, erinnert er sich an seine Esperanto-Anfänge. „Jahre später bin ich dann zu einem Jugendtreffen in Deutschland gefahren. Das fand ich toll und bin dabei geblieben und auch zu Veranstaltungen im Ausland gefahren, etwa nach Frankreich, Bulgarien oder Polen.“
Später wurde Schnell Vorsitzender der deutschen Sektion der Esperanto-Friedensbewegung und arbeitete im Vorstand der Berliner Esperanto-Gruppe, deren Pressesprecher er einige Jahre war. Er betreut die Webseite für Berlin und Brandenburg. 2010 fuhr er einige Monate mit dem Motorboot “Esperanto” von Berlin bis Narbonne und zurück und kam ins Gespräch mit lokalen Esperanto-Gruppen.
Roland Schnell wünscht sich mehr Engagement von Esperantisten. „Ich habe den Eindruck, dass viele Esperanto-Sprecher nicht darauf erpicht sind, die Sprache stärker zu bewerben. Sie sind damit zufrieden, wenn sie Esperanto in einem überschaubaren Kreis nutzen können und beschäftigen sich am liebsten mit sprachlichen Spitzfindigkeiten oder Esperanto-Literatur.“ Auch vermisst er national wie international eine professionelle PR zur positiven Verbreitung.
Esperanto-Stadt Herzberg
Ein Esperanto-Lichtblick auf der Deutschland-Karte ist die Stadt Herzberg am Harz, die seit 2006 den offiziellen Beinamen „Esperanto-Stadt“ trägt, im Original „la Esperanto-urbo“. Grund ist der besondere Einsatz einheimischer Esperanto-Sprecher seit den 1960er Jahren, in denen der Eisenbahner Joachim Gießner (1913-2003) die Sprache im dortigen Bahnhof zu unterrichten begann. Er übersetzte außerdem hunderte Lieder, Opern, Bücher und Fachartikel ins Esperanto.
Heute bündeln sich viele Esperanto-Aktivitäten vor Ort im Interkulturellen Zentrum Herzberg, wo Sprachkurse, Lehrer-Ausbildungen und Bildungsveranastaltungen stattfinden. Schüler der Stadt lernen Esperanto in AGs und es gibt einen Austausch in Esperanto mit kleinen und großen Bewohnern der polnischen Partnerstadt Góra. In diesem Rahmen wird Esperanto seiner sprachlichen Brückenfunktion gerecht: Bei Treffen begrüßen sich die Menschen beider Länder mit einem herzlichen „Saluton!“