Normalfall Mehrsprachigkeit: das Beispiel Afrika

© ICWE

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Mehrsprachig zu sein ist für die meisten Menschen auf der Welt normal. Unter Mehrsprachigkeit –  wissenschaftlich: Multilingualität – versteht man die Fähigkeit eines Menschen, in mehreren Sprachen zu kommunizieren. Auch die Gültigkeit und der Gebrauch mehrerer Sprachen innerhalb einer Gesellschaft fällt darunter. In Europa wird in den vergangenen Jahren deutlich: Migration und Globalisierung haben zur Folge, dass die deutschen Großstädte mehrsprachiger klingen. Mehrsprachigkeit ist in vielen internationalen Firmen an der Tagesordnung und nicht zuletzt in immer mehr Partnerschaften und Familien. In Europa wird Mehrsprachigkeit zwar oft öffentlich gefordert und gefordert. Selbstverständlich ist Mehrsprachigkeit dagegen in Afrika. Dort sind 2000 der 6000 gesprochenen Sprachen dieser Welt beheimatet.

Afrikanische Muttersprachen im Schatten der Kolonialsprachen

Afrika ist der „Mutterkontinent der Menschheit und deren linguistischer Diversität“ – so fasst es der Afrikanist Ekkehard Wolff zusammen. Afrikaner, die nach Europa auswandern, verständigen sich häufig auf Englisch oder Französisch. Allzu schnell entsteht bei Europäern so der Eindruck, die Kommunikation auf Englisch und Französisch sei in unterschiedlichen Ländern Afrikas die Regel. Doch in Afrika selbst haben die indigenen Sprachen große Bedeutung: im privaten Umfeld, aber auch geschäftlich. Swahili ist die im Ausland bekannteste afrikanische Sprache. Sie ist Verkehrssprache in den Ländern Ostafrikas. Hausa, die Verkehrssprache der Westküste, ist dagegen außerhalb Afrikas schon unbekannter. Damit sind nur die beiden wichtigsten der indigenen afrikanischen Sprachen genannt.

Kompliziert wird die Sprachenfrage in Afrika aber laut Ekkehard Wolff durch folgenden Umstand: Zu der für Afrika „charakteristischen Multilingualität“ komme das Erbe der Kolonialsprachen hinzu. Englisch und Französisch sind in vielen Ländern offizielle Amtssprachen und beherrschen das Bildungswesen. Dieses Verhältnis zwischen den ehemaligen Kolonialsprachen und den afrikanischen Sprachen gilt es laut Wolff auszugleichen.

Multilingualer Unterricht als Lösung

Ekkehard Wolff sieht nämlich in der Dominanz des Englischen und Französischen im Bildungswesen einen wichtigen Grund für die oft diskutierte „Unterentwicklung“ Afrikas. Nur wenigen Menschen gelänge es in Afrika beruflich aufzusteigen: Wer Karriere macht, stammt oft aus einer gehobenen Familie, aus einem Milieu, in dem der Kontakt mit dem Englischen und Französischen häufig ist. Benachteiligt sind auf der anderen Seite die Schülerinnen und Schüler, die zu Hause mit den indigenen Sprachen aufwachsen – die große Mehrheit in Afrika. In den Schulen werden diese Jugendlichen oft von Lehrern unterrichtet, die selbst nur mangelhaft Englisch oder Französisch sprechen.

Um dem entgegenzuwirken, plädiert Wolff aber nicht nur für eine bessere Englisch- und Französisch-Qualifikation der Lehrkräfte – Wolff vertritt einen multilingualen Ansatz: Ab dem Kindergarten bis zur Universität sollten Kinder und Jugendliche in Afrika in zwei oder gar drei Sprachen unterrichtet werden: in einer der offiziellen Amtssprachen (also Englisch oder Französisch) und in mindestens einer ihnen von klein auf vertrauten afrikanischen Sprache.

Gestützt wird Wolffs Forderung von vielen anderen Linguisten, und die sind nicht zwingend auch Afrikanisten. Die deutsche Linguistin Ingrid Gogolin etwa ist der Meinung: Die Muttersprache vermittelt Kindern beim Eintritt ins Bildungssystem Sicherheit und Stabilität. An multilingual ausgerichteten Schulen in Europa – von denen es immer mehr gibt – wird daher „Immersionsunterricht“ praktiziert: Die Schülerinnen und Schüler lernen zu Beginn hauptsächlich in ihrer Muttersprache. Mit den Jahren erhalten sie aber zunehmend mehr Unterricht in der Fremdsprache, auch in nicht-sprachlichen Unterrichtsfächern. Tansania jedenfalls hat vor kurzem beschlossen, auch Swahili als Unterrichtssprache einzuführen – und folgt so bewusst oder zufällig der Strategie, für die sich der emeritierte Professor Wolff stark macht.

 

Weiterführende Literatur für Interessierte:

Ekkehard Wolff veröffentlichte seine Lösungsvorschläge auch im Web, auf Zeitgeschichte-online.de: Die afrikanischen Sprachen im 21. Jahrhundert. Herausforderungen an Politik und Wissenschaft.

Zur aktuellen Sprachenfrage in Europa nahm der Germanist Karl-Heinz Göttert in seinem Sachbuch „Abschied von Mutter Sprache“ Stellung.