Fremdsprachen durch Theaterformen lernen
„Der Mensch ist nur da ganz Mensch, wo er spielt.“ Für Friedrich Schiller war das Theater die wichtigste Kunstform: Wie keine andere Kunstform bringe das Theater den Menschen auf dem Weg zu innerer Reife voran. Theater, das ist Schiller zufolge Selbstverwirklichung. Bereits seit der Antike kommt dem Theater in Konzepten zu Erziehung und Bildung große Bedeutung zu. Der Mensch lerne durch das Theater: als Zuschauer und auch als Spielender. Die moderne Dramapädagogik knüpft besonders an diesen zweiten Aspekt an. Die Dramapädagogik bedient sich nämlich der Methoden des Schauspiels für Lernziele jenseits der Bühne und in unterschiedlichen Unterrichtsfächern – auch im Fremdsprachenunterricht.
Lernen mit ganzem Körpereinsatz
„Zu Beginn unserer Arbeit sprechen wir ausführlich mit der verantwortlichen Lehrerin oder dem Lehrer. Wir möchten dabei herausfinden, was die Lehrkraft in sprachlicher Hinsicht durch unseren Workshop erreichen möchte und was in Bezug auf das Theater“, erklärt Marjorie Nadal. Mit fünf anderen Französisch-Muttersprachlern arbeitet Marjorie Nadal in der Berliner Agentur Thealingua zusammen. Alle Mitarbeiter verfügen sowohl über pädagogische Berufserfahrung als auch über Erfahrung in Schauspiel und Theaterarbeit. Nadal und ihre Kollegen bieten vor allem Workshops für Schulen an, aber auch Lehrerfortbildungen. In den Workshops an Schulen vertiefen Jugendliche mittels Rollenspiele, szenischer Darstellungen, Improvisationstheater und Textarbeit ihre Französisch-Kenntnisse. Manche der Workshops dauern nur zwei Stunden, andere ziehen sich mit 72 Stunden Umfang durch das gesamte Schuljahr.
„Die Schüler freuen sich in der Regel: Alle sind froh, einmal ohne Tisch und Stühle lernen zu können. Gerade pubertierende Teenager können bei der Arbeit in einem großen Raum ihre ungeheure Energie entfalten, die normalerweise im Sitzen nicht zur Geltung kommt“, erklärt Nadal. Vor dem eigentlichen Lehrprogramm, das im Gespräch mit den Lehrkräften verabredet wird, wenden die Dramapädagogen körperdynamische und gruppendynamische Übungen an. So sollen Unsicherheiten und Ängste vor dem kreativen Spiel bei theaterunerfahrenen oder schüchternen Jugendlichen schwinden. „Am einfachsten ist die Arbeit mit Kindern im Grundschulalter – sie sind noch sehr verspielt und ungezwungen. Aber auch ältere Schüler, die die schwierigste Zeit der Pubertät hinter sich haben, sind sehr offen für die Methode. Sie gehen das Ganze oft schon durchdachter und intellektuell an.“ Die Hemmungen bei Jugendlichen, die mitten in der körperlichen Entwicklung stecken, sind verständlicherweise am größten: Dramapädagogik fordert den Einsatz des ganzen Körpers und der ganzen Stimme.
Dramapädagogik als Form des emotionalen Lernens
Durch die Verbindung von kreativer Arbeit mit Lerninhalten ermöglicht die Dramapädagogik den Lernenden eine emotionale Bindung. Das emotionale (oder auch affektive) Lernen reicht tiefer als das im Schulunterricht bis heute häufiger anzutreffende kognitive Lernen, das nur den Verstand anspricht. Dramapädagogik bringt die Teilnehmer in „Als-ob-Situationen“. Die Schülerinnen und Schüler müssen spontan sprachlich handeln – das ist anspruchsvoller als reines Vokabellernen, aber auf Dauer wirksamer. Überhaupt bietet die Dramapädagogik vielerlei Vorteile für den Fremdsprachenunterricht: Sie schult die Kompetenzen, die im Gemeinsamen Europäischen Referenzrahmen für Sprachkenntnisse formuliert sind. Neben der mündlichen Kommunikationsfähigkeit zählen dazu das Leseverständnis und die schriftliche Ausdrucksfähigkeit. Denn durch die Dramaworkshops sind die Schüler mitunter auch zum Lesen und Schreiben aufgefordert. Zum Teil arbeiten Nadal und ihre Kollegen in den Workshops mit Texten, die sie zuvor selbst ausgearbeitet haben, oder mit Werken der französischen Literatur. Zum anderen Teil werden während des Workshops Texte in Szene gesetzt, die Lehrer und Schüler im Unterricht vorher selbst verfasst haben. Beide Wege führen zum selben Ziel: Dadurch dass die Schüler den Text lebendig darstellen, wächst ihr Verständnis für die Bedeutung des geschriebenen und des gesprochenen Wortes.
Kleiner Schritt von der Drama- zur Theaterpädagogik
Während die Dramapädagogik theatrale Mittel ausschließlich für andere pädagogische Ziele einsetzt, kann es bei der Theaterpädagogik um mehr als nur ein fremdes Lernziel gehen. Die Theaterpädagogik verfolgt auch eine künstlerische Absicht und hält den Schiller’schen Gedanken hoch: Theater kann die Welt verändern. Diese Überzeugung ist auch bei Marjorie Nadal zu spüren. Theater, das hat sie noch während ihrer Berufszeit in Frankreich entdeckt, kann bei Jugendlichen viel bewegen: „Bei meiner Arbeit in einem Jugendzentrum in Lyon habe ich das Theater als Werkzeug eingesetzt: als Werkzeug, um Demokratie und Respekt herzustellen.“
Nadal geht es bei ihrer Arbeit also um mehr, als mancher Lehrer anfangs im Sinn hat, der seinen Schülern schlicht auf originelle Weise die fremde Sprache nahebringen möchte. Schon allein daher legt Nadal viel Wert auf das gemeinsame Festlegen eines Lehrprogramms. Doch letztlich sind die Ziele, die sich hinter Theater und Fremdsprachenlernen verbergen, nicht weit voneinander entfernt: Um Respekt vor anderen Menschen geht es bei beiden. Gerade Fremdsprachenkenntnisse ermöglichen es oft erst, auf Menschen anderer Kulturen empathisch zuzugehen.
Den Berliner Schulen jedenfalls scheint Nadals Ansatz zu gefallen: Die Nachfrage nach Angeboten von Thealingua steigt von Jahr zu Jahr. Wie ein Theater-Workshop in der Praxis aussieht, davon können interessierte Lehrkräfte einen Eindruck am 20. November auf der Expolingua Berlin gewinnen. Marjorie Nadal wird persönlich einen Workshop geben. Mit dem Titel „LED – L’Emisfero Destro“ wird auch Stefania Cutini mit einem italienischen Theater-Workshop auf der Sprachenmesse präsent sein. Erfahren Sie in Kürze mehr auf unserer Website: www.expolingua.com