Europäische Weihnachten: Kulturen im Wandel und im Austausch

Kutia. Traditional Christmas sweet mealMartin Luther sei Dank: Wer an Heiligabend reich beschenkt wird, hat diesen Segen gewissermaßen Deutschlands erstem Protestanten zu verdanken. Die Heiligenverehrung störte Luther im 16. Jahrhundert. So empfahl er, dass Familien sich an den Weihnachtstagen Ende Dezember beschenken sollten, statt wie bisher am 6. Dezember, dem Tag des heiligen Nikolaus. Der Nikolaustag blieb jedoch in vielen Regionen als Tag der kleinen Gaben erhalten – Heiligabend kam für die großen Geschenke hinzu.

Weihnachten, das Fest von Christi Geburt, offenbart wie kaum ein anderes Fest ein Hauptmerkmal von Kulturen: Eine Kultur wandelt sich über die Zeit. Vor allem aber zeigt das in der westlichen Welt beliebteste Fest des Jahres, wie Kulturen sich gegenseitig beeinflussen und wie sie sich trotz gemeinsamer Wurzeln unterscheiden können. Krippenspiele in Kirchen, Krippen und Tannenbäume in den Wohnzimmern, das Singen in der Familie, das Essen und die Geschenke: An Weihnachten kommen sehr viele Bräuche und Rituale zusammen. Wie und was essen die Leute? Wann beschenken sich die Menschen in anderen europäischen Ländern? Zum Abschluss des Jahres ein Blick in die Gewohnheiten einiger der Länder, die 2014 auf sprachennetz.org vorgestellt wurden.

Polen: Boże Narodzenie

„Wigilia, also der 24. Dezember, ist bei uns eigentlich noch ein Fastentag. Doch wenn die polnischen Familien abends nach langem Kochen endlich zusammen sitzen und auf den Tisch blicken, denkt niemand mehr ans Fasten,“ erklärt Marta Wąsowska, die lange im internationalen Jugendaustausch in Deutschland aktiv war und nun für eine polnische NRO in ihrer Heimatstadt Warschau arbeitet. Mit dem 24. Dezember endet die im katholischen Glauben wichtige mehrwöchige enthaltsame Zeit vor dem Fest. Polen ist inzwischen weltweit bekannt für sein Zwölf-Gänge-Menü an Heiligabend, darunter gehaltvolle Gänge wie die Rote-Beete-Suppe Borschtsch, die Teigtaschen Pierogi (an diesem Tag aber strikt ohne Fleischfüllung) und der Karpfen. Dem Essen kommt im katholisch geprägten Polen traditionell bei allen Festen kirchlichen Ursprungs große Bedeutung zu. Das gilt zum Beispiel auch für Ostern.

Am 24. Dezember feiern noch vereinzelte Firmen mit ihren Mitarbeitern in den Restaurants oder Touristen suchen dort ihre Zuflucht. Am 25. Dezember sind die Restaurants tagsüber in der Regel geschlossen. Einige wenige öffnen erst abends wieder, die meisten gar erst am 26. Dezember. Ein großes Geschäft haben Restaurantbesitzer um die Weihnachtszeit in Polen jedenfalls nicht zu erwarten.

Spanien: La Navidad

Zu „La Noche Buena“ (dt. Die Gute Nacht), wie der Heiligabend auf Spanisch heißt, kommt die Familie zu einem Festessen zusammen: Die Hauptgerichte können von Region zu Region und innerhalb der Familien variieren. Doch fast überall in Spanien schließt das Festmahl ab mit Turrón, einem weißen Nougat aus Mandeln und Honig, dem Schmalzgebäck Polvorón und Marzipan. Nach dem Essen trennen sich die Generationen: Die jungen Menschen treffen sich in Kneipen oder privat zu einer Party, die älteren besuchen die „Misa del Gallo“ (dt. Hahnenmesse) in der Kirche.

Auf Geschenke müssen viele spanische Kinder länger warten als deutsche und polnische: Am 6. Januar, dem Dreikönigstag, stellen sie Wasser und Brot vor die Tür und werden dafür beschenkt. Doch die mitteleuropäischen Traditionen fassen auch in Spanien immer mehr Fuß: In manchen Familien dürfen sich Kinder und Erwachsene auch schon am 24. Dezember über eine kleine Gabe freuen. Und einige wenige Glückliche schweben zu dieser Zeit unabhängig von den persönlichen Geschenken im siebten Himmel: die Gewinner der spanischen Weihnachtslotterie vom 22. Dezember.

Italien: Natale

Italien hat mit seinen Gerichten die Küchen dieser Welt erobert. Doch während „La Vigilia di Natale“ am 24. Dezember halten die Italiener sich kulinarisch zurück. Der Heiligabend gilt auch im katholischen Italien noch als Fastentag: Die Menschen verzichten auf Fleisch und essen wenig – umso mehr dann aber am Ersten Weihnachtsfeiertag. Die Nachspeise Panettone, ein Weihnachtskuchen, steht häufig auf jedem Tisch; die Hauptspeisen richten sich nach regionalen und persönlichen Vorlieben.

Vor allem Italiens Geschenke-Rituale offenbaren die kulturellen Einflüsse von außen: Während an manchen Orten das in Nord- und Mitteleuropa populäre Christkind die Kinder an Heiligabend beschenkt, warten die Menschen woanders noch, bis die gute alte Hexe Befana am Dreikönigstag Gaben bringt. Der alte italienische Brauch erfährt jedoch auch von anderer Seite Konkurrenz: Babbo Natale, die italienische Version des amerikanischen Weihnachtsmann, tritt in den vergangenen Jahren häufiger in Erscheinung und hinterlässt seine Gaben am Morgen des 25. Dezember.

Großbritannien: Christmas

Christmas-Partys und Pub-Abende sind in London und Großbritannien am Vorabend der Weihnachtsfeiertage keine Seltenheit: An Heiligabend feiern viele Menschen zu später Stunde mit ihren Freunden und Bekannten. Doch am Christmas Day, dem 25. Dezember, ziehen sich viele in den Kreis ihrer Familie zurück: Truthahn-Braten und Plumpudding stehen dann etwa auf dem Tisch, die Menschen verkleiden sich mit Partyhütchen. Geschenke erhalten am 24. und 25. Dezember die Familienmitglieder von Father Christmas – nicht Santa Claus wie in den USA. Bekannte und Unterstützer werden in der Regel am zweiten Weihnachtsfeiertag, dem Boxing Day, beschenkt.