Muttersprache Deutsch im fernen Pazifik: Unserdeutsch
Nach Indonesien und Madagaskar ist Papua-Neuginea der drittgrößte Inselstaat der Welt. Das Land liegt nördlich der Ostküste Australiens und zählt zum australischen Kontinent. Wer möglichst weit weg von Deutschland und Europa möchte, findet auf dem Globus kaum einen anderen passenden Ort. In letzter Zeit jedoch beschäftigen sich einige Sprachwissenschaftler mit einer unvermuteten Nähe zwischen dem Mutterland des Deutschen und dem vielsprachigen Papua-Neuginea. Ein Augsburger Germanist hat beschlossen, eine vom Aussterben bedrohte Sprache Papua-Neugineas zu erforschen. Ihr Name: Unserdeutsch.
Kreolsprache mit Grundlage Deutsch
Unserdeutsch gilt als die einzige Kreolsprache, die das Deutsche hervorgebracht hat. Kreolsprachen entstehen aus dem Kontakt mehrerer unterschiedlicher Sprachen miteinander. Ein großer Teil der Wörter entstammt vor allem einer der Vorgängersprachen. Grammatik und Lautsystem können von der Hauptursprungssprache aber beträchtlich abweichen. Das Englische, Spanische und Portugiesische brachten in der Vergangenheit die meisten Kreolsprachen hervor. Die Gründe sind offenkundig: Es sind die Sprachen der in vergangenen Zeiten größten Kolonialmächte. In vielen ehemaligen Kolonialländern mischten sich die Sprachen der einheimischen Bevölkerung mit denen der (zeitweiligen) fremden Herrscher. Während eine Pidgin-Sprache – ebenfalls eine Mischform mehrerer Sprachen – oft nur der schnellen Verständigung in notwendigen Fragen dient, gehen Kreolsprachen zunehmend eigene Wege: Ihre Sprecher greifen auch in anderen und oft komplexen Kommunikationssituationen auf die neu entstandene Sprache zurück.
Wie und weshalb entstand nun aber eine Sprache, in der Fragen wie „Du geht wo?“ und Ausdrücke wie „alle Freund“ keiner Korrektur bedürfen?
Kinder als Urheber des Unserdeutsch
Ab der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts beherrschte das Deutsche Kaiserreich einen Teil des Ostens der Insel Neuginea. Deutsche Firmen trieben Handel, Missionare wollten das Land christianisieren. Der Erste Weltkrieg machte dem deutschen Kolonialstreben nach wenigen Jahrzehnten ein Ende. Doch bis zu diesem Zeitpunkt hatten bereits einige deutsche Männer Beziehungen und Ehen mit einheimischen Frauen geschlossen. Kinder dieser kulturell gemischten Partnerschaften und die Kinder deutscher Missionare brachten die neue Sprache hervor – im Waisenhaus der katholischen Missionsstation Vunapope nahe Rabaul (heute Provinz East New Britain). „Rabaul Creole German“ lautet denn auch die wissenschaftliche Bezeichnung für Unserdeutsch.
Unterrichtssprache in der Missionsstation Vunapope war Deutsch. Die Kinder im Waisenhaus vereinfachten ihre Sprache jenseits des Unterrichts und das vermutlich nicht nur aus einem Grund. Gegen Ende der Kolonialzeit kamen immer mehr Kinder aus China, Japan oder Malaysia dort an. Unserdeutsch ermöglichte eine einfache Verständigung aller Kinder miteinander und vor allem auch eine Verständigung, der die Erwachsenen nicht folgen konnten. Ist Unserdeutsch also ursprünglich eine Geheimsprache von Kindern?
Dokumentieren, was verschwindet
Genauere Erkenntnisse über die Sprache möchte Peter Maitz, Professor der Universität Augsburg, liefern. Entdeckt hatte die Sprache bereits in den 1970er Jahren der Sprachwissenschaftler Craig Volker in Australien. Damals stieß seine Entdeckung auf wenig Interesse. Craig Volker lehrt heute vor Ort an der Divine Word University in Papua-Neuginea. Mit ihm gemeinsam möchte Peter Maitz der Geschichte und der Struktur der Sprache nachgehen, solange das noch möglich ist: „Dass ‘Unserdeutsch’ trotzdem auch in Fachkreisen bis heute weitgehend unbekannt und unerforscht ist und dass es zugleich nur noch etwa 100 ältere Sprecher gibt, die heute zerstreut auf verschiedenen Inseln Papua-Neuguineas und in Ost-Australien leben, gebietet Eile”, erklärt Maitz.
Die Rede vom Sprachensterben fällt oft im 21. Jahrhundert: Dialekte und Sprachen kleinerer Völker schwinden, wenn die Sprecherzahl geringer wird. Heute ein fast selbstverständlicher Fall in vielen Ländern aller Kontinente. Was im Verschwinden egriffen ist, erfährt derzeit aber auch zunehmend mehr Aufmerksamkeit. Auf einer eigens eingerichteten Projektseite lässt Peter Maitz alle Interessierten teilhaben am Stand seiner Forschung: Zu finden sind dort Literaturhinweise, Bilder und Audio-Aufnahmen, die gemeinsam mit den wenigen noch lebenden Sprechern entstanden.
„Du geht wo?“ für „Wohin gehst du?“ und „alle Freund“ als Pluralform für „Freund“ werden deshalb wohl nicht bestehen bleiben. Doch die Geschichte ihrer Sprecher, einer Minderheit auf Papua-Neuginea, deren Leid und Lebensleistung, erfahren so vielleicht späte Aufmerksamkeit und Anerkennung.
Link:
Tonaufnahmen von Unserdeutsch der Universität Augsburg hier (http://www.philhist.uni-augsburg.de/de/lehrstuehle/germanistik/sprachwissenschaft/Unserdeutsch/dokumentation/tonaufnahmen/)