Berufsbild: Übersetzer für Leichte Sprache – Sprache auf ihren Ursprung zurückführen

SLucaprache dient der Verständigung – eigentlich. Die Wirklichkeit zeigt: Mit und durch Sprache entstehen oft Missverständnisse. Manche Textsorten und Bereiche des Berufslebens scheinen sich gar auf Unverständlichkeit spezialisiert zu haben. Mit Wörtern wie „Kontaktareal“ und „Umkarton“ beschreibt ein Pharma-Unternehmen die Wirkung einer Salbe gegen Hautallergien. Und amtsdeutsche Wendungen wie die „technische Realisierbarkeit neuer audiovisueller Kommunikationsmittel“ oder die „Personenvereinzelungsanlage“ bringen Stilverfechter dem Kollaps nahe. Sprache folgt in diesen Beispielen kaum mehr ihrem ursprünglichen Ziel: Klarheit. Die verloren gegangene Verständlichkeit neu zu schaffen, ist hingegen das Ziel der Leichten Sprache und ihrer Fürsprecher.

Unverständlichkeit entsteht schneller als Verständlichkeit

„Dass ich über die Leichte Sprache viele Menschen erreichen kann, gerade solche Menschen, die  bisher wichtige Informationen nicht verstehen konnten, das treibt mich an,“ sagt Verena Reinhard. 2010 gründete Reinhard in München ihre Agentur mit Namen „Einfach verstehen. Medienwerkstatt für Leichte Sprache“. Für öffentliche Einrichtungen und andere Auftraggeber übersetzt sie Broschüren und Internetseiten in Leichte Sprache. Die Adressaten dieser Texte sind in erster Linie Menschen mit Lernschwierigkeiten. Doch die letzten Jahre haben gezeigt: Auch manche Menschen mit Migrationshintergrund oder an Demenz erkrankte ältere Menschen profitieren von Texten, die in Leichter Sprache vorliegen.

Schon während ihres Germanistik- und Philosophie-Studiums interessierte Verena Reinhard sich für eine Frage: „Welche Bedeutung haben unsere Worte und was sagt man wirklich, wenn man etwas sagt?“ Später dann unterrichtete sie bei der Lebenshilfe München Deutsch sowie Grundkenntnisse für die Arbeit mit Computern. Ihre Erfahrungen mit Menschen mit Lernschwierigkeiten haben Verena Reinhard auf einen Weg gebracht, bei dem sie ihr theoretisches Interesse an Sprache unentwegt mit der Praxis in Einklang bringen muss. Unverständlichkeit entsteht buchstäblich schneller, als man denkt. Bei ihren Schulungen zu Leichter Sprache bringt Verena Reinhard die Teilnehmer durch simple Fragen zum Nachdenken: „Verstehe ich eigentlich die Wörter, die ich im Alltag verwende? Frage ich nach, wenn mir nicht klar ist, was jemand meint?“ Deutlich wird durch solche Überlegungen: Der Weg zu Verständlichkeit ist oft der längere.

Leichte Sprache folgt Regeln

Verstehen folgt oft individuellen Voraussetzungen. Leichte Sprache ist allerdings im deutschen Sprachraum keine Angelegenheit des persönlichen Ermessens. Im Arbeitsprozess beachtet Reinhard die Regeln, die das Netzwerk Leichte Sprache 2006 aufgestellt hat. Ungefähr 80 Mitglieder aus Deutschland und Österreich zählt der Verein, darunter Organisationen und Institutionen sowie einzelne Texter und Übersetzer. Bereits in den 1970er Jahren war die „Easy-to-read“-Bewegung in den USA aufgekommen und rund 20 Jahre später nach Europa gelangt. Texte in Leichter Sprache leben durch Veranschaulichung und so erklärt sich auch Leichte Sprache am besten selbst:

„Eine wichtige Aufgabe vom Bundes-Tag
ist die Wahl vom Bundes-Kanzler.
Oder von der Bundes-Kanzlerin.“

Politische und öffentliche Einrichtungen in Deutschland haben sich verpflichtet die Konvention der Vereinten Nationen zum Schutz der Rechte aller Menschen mit Behinderungen umzusetzen. Auch der Deutsche Bundestag informiert über seine Aufgaben auf einem Portal innerhalb seines Internetauftritts in Leichter Sprache. Das obige Beispiel erfüllt mehrere Anforderungen:

  • einfacher Satzbau, das heißt Subjekt, Prädikat und Objekt folgen aufeinander
  • zusammengesetzte Substantive werden sichtbar durch einen Bindestrich getrennt
  • der Genitiv wird möglichst vermieden

Alle vier Jahre berichten unsere Medien also nicht von der Wahl des Bundeskanzlers, sondern von der „Wahl vom Bundes-Kanzler“. Manche der Regeln für Leichte Sprache widersprechen der offiziellen Grammatik und Rechtschreibung – oder folgen wie eine Fremdsprache eben ihrer eigenen Logik. Doch nicht nur ein ausgeprägtes Sprachbewusstsein, Sensibilität und Erfahrung mit den besonderen Standards sind Voraussetzung für eine Übersetzerin wie Verena Reinhard.

Übersetzen im Dialog mit dem Leser

„Am wichtigsten sind Einfühlungsvermögen und Geduld. Denn im Unterschied zu Übersetzern für Fremdsprachentexte kann ich das Ende meiner Arbeit oft nicht genau vorhersagen. Alle Texte werden von Menschen mit Lernschwierigkeiten geprüft.“ Im Team von Verena Reinhard arbeiten zwei Frauen mit Lernschwierigkeiten. Wenn die beiden keine Anmerkungen mehr haben, kann Reinhard ein Projekt abschließen: „Bei unseren Prüfungen merke ich rasch, ob sie verstehen, was sie gerade lesen. Daran, wie sie es lesen, an welcher Stelle sie ins Stocken geraten.“ Wer keine eigenen Prüfer beschäftigt, kann seine Texte auch durch Prüfer des Netzwerks Leichte Sprache kontrollieren lassen. Verena Reinhard ist die unmittelbare Zusammenarbeit vor Ort lieber. „Wer diesen Kontakt nicht möchte, in Inklusion keinen Sinn sieht, für den ist mein Beruf nichts. Im Grunde geht es bei meiner Arbeit ja auch darum, das Selbstbewusstsein der Menschen zu stärken. Meine Prüferinnen und Teilnehmer in Schulungen ermutige ich dazu, zu protestieren, wenn sie etwas nicht verstehen.“ Texter und Übersetzer für Leichte Sprache arbeiten also nicht still im Kämmerlein, sondern brauchen den Austausch mit ihrer Zielgruppe.

In ihrem Erscheinen mag sie manchen Leser irritieren, großformatig, mit vielen Trennungen und einfachen, kurzen Sätzen. Doch Leichte Sprache macht der Allgemeinheit bewusst, dass das, was selbstverständlich klingt, oft eine Besonderheit ist. Was Leichte Sprache als Wert hoch hält, gilt im Grunde für Muttersprache und jede Fremdsprache, die wir erlernen: Sprache ist ein Mittel zwischenmenschlicher Annäherung – und nur darin besteht ihr Sinn.